November 2022
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Unfall eines temporären Mitarbeiters – wer ist schuld?

Führung

«Unfall vor Gericht» heisst die Veranstaltungsserie der Suva und wird seit Sommer an diversen Schweizer Standorten durchgeführt. Bei dieser fiktiven Gerichtsverhandlung wird der Unfall eines temporären Mitarbeiters behandelt. Wer trägt in diesem komplexen Dreiecksverhältnis die Hauptschuld – Ausleihbetrieb, Einsatzbetrieb oder der temporäre Mitarbeiter selbst?


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Der verunfallte Mitarbeiter Erich Temporär betritt, zusammen mit seinem Anwalt, die Bühne (den Gerichtssaal).
Der verunfallte Mitarbeiter Erich Temporär betritt, zusammen mit seinem Anwalt, die Bühne (den Gerichtssaal).

 

Führung

Unfall eines temporären Mitarbeiters – wer ist schuld?

«Unfall vor Gericht» heisst die Veranstaltungsserie der Suva und wird seit Sommer an diversen Schweizer Standorten durchgeführt. Bei dieser fiktiven Gerichtsverhandlung wird der Unfall eines temporären Mitarbeiters behandelt. Wer trägt in diesem komplexen Dreiecksverhältnis die Hauptschuld – Ausleihbetrieb, Einsatzbetrieb oder der temporäre Mitarbeiter selbst?

Text: Seraina Gurtner / Bilder: Suva

Ausgangslage

Für Deckenarbeiten auf einer Hubarbeitsbühne benötigt eine Baufirma Verstärkung und setzt sich mit dem Temporärbüro des Vertrauens in Verbindung. Dieses schickt einen geeigneten Kandidaten zum Bauunternehmen. Der Temporäre beherrscht jedoch die Hubarbeitsbühne nicht, woraufhin ein Ersatz angefordert wird. In der Zwischenzeit verunfallt der Temporäre schwer und erleidet irreversible Gesundheitsschäden.

Die Protagonisten
Relevant für die Gerichtsverhandlung sind vier Protagonisten:
Erich Temporär, Verunfallter
Martin Meister, CEO Einsatzbetrieb
Sandro Polieri, Polier Einsatzbetrieb
Claude Muster, CEO Ausleihbetrieb

Strafprozess – Spiegel der Realität

In der Befragung zeigt sich, dass alle Beteiligten Fehler begangen haben. Allerdings sieht sich keine Partei in der Schuld. Es handelt sich beim Personalverleih nämlich um eine besondere Rechtssituation, bei der drei unterschiedliche Vertragsverhältnisse zwischen allen Akteuren bestehen.
Im konkreten Beispiel dieser Gerichtsverhandlung wird deutlich, welch sicherheitsrelevante Rolle bei einer Personalvermittlung Kommunikation, Verantwortungsbewusstsein und klare Instruktionen spielt.
Weder der Ausleih- noch der Einsatzbetrieb überprüfte die Qualifikationen von E. Temporär. Auch vor Ort mangelte es an ausreichender Kommunikation, um die Wichtigkeit des Sicherheitsgurts in Erinnerung zu rufen – zum Verhängnis des Temporären.
Leider lässt das hohe Arbeitsaufkommen in Betrieben teilweise nicht zu, dass eine Arbeitskraft fehlt. Mit dem Bestreben, das Tagesgeschäft rechtzeitig zu erledigen, werden Ad-hoc-Entscheidungen gefällt, die potenziell die Sicherheit eines Mitarbeitenden gefährden. So war es leichtsinnig, dass die Baufirma E. Temporär trotz Untauglichkeit weiterarbeiten liess. 

Im Zentrum der Gerichtsverhandlung steht die Frage: Wer trägt die Hauptschuld?
Im Zentrum der Gerichtsverhandlung steht die Frage: Wer trägt die Hauptschuld?

 

Freispruch zu Unrecht?

Der Richter beschliesst im Strafprozess folgendes Urteil:
Der Polier und der CEO des Baubetriebs erhalten eine Gefängnisstrafe von zwölf und acht Monaten. Ausserdem müssen sie je 3000 Franken an die Gerichtskosten bezahlen. Beide haben ihre Sorgfaltspflicht verletzt.
C. Muster vom Ausleihbetrieb hingegen wird freigesprochen, da er seine Sorgfaltspflicht nicht verletzt hat. Laut seiner Aussage wusste er nicht, dass es sich um eine fahrbare Hubarbeitsbühne handelt und fragte daher nach keiner Bescheinigung.
Selbst wenn die Aussage von C. Muster gelogen wäre – es fehlt ein schriftlicher Beweis, da die Vermittlung per Telefonat verlief.
Um jemanden anzuklagen, braucht es Beweise. Der Suva-Rechtsanwalt Florian Willi weist in diesem Zusammenhang auf die Wichtigkeit von Verträgen hin. Zentrale Punkte bei Abmachungen zwischen zwei Parteien sollen für die Beweisbarkeit immer schriftlich festgehalten werden.  

Vom Gericht für schuldig gesprochen: Martin Meister, CEO des Einsatzbetriebes (rechts) zusammen mit seinem Anwalt.
Vom Gericht für schuldig gesprochen: Martin Meister, CEO des Einsatzbetriebes (rechts) zusammen mit seinem Anwalt.

 

Zivilprozess und Urteil

Im Anschluss findet der Zivilprozess statt. Der geltend gemachte Schaden beläuft sich auf 533 986 Franken; die Genugtuungsforderung beträgt 31 800 Franken. Die beiden Betriebe müssen zu 80 % solidarisch für den entstandenen Personenschaden haften. Der Unfall war jedoch nicht vollständig fremdverschuldet, deshalb haftet auch der Kläger zu 20 %.  

50 % höheres Unfallrisiko

1640 temporäre Mitarbeitende von ca. 350 000, die sich im Jahr 2021 im Einsatz befanden, erlitten einen schweren Unfall. Das entspricht mehr als vier Unfällen pro Tag!
Das Unfallrisiko bei Temporären ist um 50 % höher als bei Festangestellten. Leihpersonal wird oft schnell und mangelhaft eingeführt, kennt das Unternehmen noch nicht und wagt es nicht, sich zu wehren.

Appell an die Einsatzbetriebe

Jeder Einsatzbetrieb sollte sich fragen: «Was können wir besser machen, um Unfälle zu verhindern?» Ungeachtet des Anstellungsgrades müssen alle Arbeitskräfte gleich (gut) behandelt werden.
Ziel von «Unfall vor Gericht» war es, dass sich Einsatzbetriebe bemühen, Unfällen vorzubeugen. Bei erkannter Gefahr soll die Arbeit sofort unterbrochen werden – so können bereits viele Unfälle vermieden werden.  ■