Glastechnik
Risikobeurteilung von Einscheiben-Sicherheitsglas
Der Spontanbruch einer Verglasung stellt eine Gefährdung dar, die schwierig einzuschätzen ist. Zur neutralen Beurteilung haben unter der Leitung von Metaltec Suisse die weiteren Schweizer Branchenverbände SIGAB, SFV, SZFF, FFF und BFU eine Risikobeurteilung für Vertikalverglasungen mit thermisch vorgespannten Einscheiben-Sicherheitsgläsern erarbeitet. Dieser Beitrag dokumentiert den Hintergrund der Risikobeurteilung.
Das Anwendungsdokument kann auf der Website von Metaltec Suisse heruntergeladen werden (siehe Kasten).
Für Bauherren, Planer und Unternehmer ist es schwierig, die Gefahr eines Spontanbruchs einer Verglasung einzuschätzen. Auf Grund der Überschätzung der Gefährdung werden oft Massnahmen vorgesehen, die nicht angemessen sind. Die Wahrscheinlichkeit, mit der bei Einscheiben-Sicherheitsgläsern (ESG) mit einem Spontanbruch gerechnet werden muss, ist vergleichsweise gut bekannt. Komplexer gestaltet sich die Beurteilung der Gefährdung von Personen durch die bei einem Spontanbruch herunterfallenden Bruchstücke des Glases.
Nickelsulfid-Einschlüsse
Im Widerspruch zum Sprachgebrauch ist der Spontanbruch eines Glases nicht spontan, sondern die Folge einer Einwirkung. Gut bekannt ist der Glasbruch auf Grund von Nickelsulfid-Einschlüssen. Bei der Glasherstellung bilden sich aus Nickel und Schwefel sogenannte Nickelsulfidkristalle. Die Umwandlung der Kristalle von der Alpha- in die Beta-Kristallisationsform führt zu einer Volumenvergrösserung von rund 4 Prozent und damit zu einer Störung des Spannungsgleichgewichts. Bei Umgebungstemperatur dauert dieser Prozess oft sehr lange, er kann jedoch durch eine Heisslagerung, den sogenannten Heat-Soak-Test, beschleunigt werden. Die Wahrscheinlichkeit eines Spontanbruchs auf Grund von Nickelsulfid-Einschlüssen ist vergleichsweise genau bekannt. Pro 10 Tonnen Glas ist mit einem Spontanbruch zu rechnen. Durch die Heisslagerung gemäss SN EN 14179-1 kann diese Wahrscheinlichkeit auf einen Spontanbruch pro 400 Tonnen Glas reduziert werden.
Weitere Bruchursachen
Untersuchungen der Schadenfälle der letzten 15 Jahre haben gezeigt, dass Spontanbrüche von Einscheiben-Sicherheitsgläsern nicht nur auf Nickelsulfid-Einschlüsse zurückzuführen sind. Zu den Schadenursachen zählen unter anderem Vorschädigungen an Glaskanten, ungenügende Lagerungen / Klotzungen, Glas-Metall-Kontakte, Zwängungen beim Einbau oder Setzungen von Bauteilen. Basierend auf diesen Untersuchungen wurde bei der Risikobeurteilung für Einscheiben-Sicherheitsglas mit Heat-Soak-Test davon ausgegangen, dass Nickelsulfid-Einschlüsse nur bei etwa 10 Prozent die Ursache eines Bruchs sind und der weitaus grösste Anteil den weiteren Ursachen zuzuordnen ist. Diese Grundannahme ist jedoch konservativ. Bei Einscheiben-Sicherheitsgläsern ohne Heat-Soak-Test ist die Bruchwahrscheinlichkeit auf Grund von Nickelsulfid-Einschlüssen massgeblich grösser, die weiteren Bruchursachen bleiben absolut betrachtet jedoch gleich gross. Bei ESG ohne Heat-Soak-Test ist die Wahrscheinlichkeit eines Bruchs auf Grund von Nickelsulfid-Einschlüssen dominierend. Durch die Berücksichtigung der weiteren Bruchursachen sind auch alle möglichen Lagerungsarten abgedeckt. Die Risikobeurteilung ist darum auch auf zwei- und dreiseitig oder punktgehaltene Verglasungen anwendbar.
«Untersuchungen der Schadenfälle der letzten 15 Jahre haben gezeigt, dass Spontanbrüche von Einscheiben-Sicherheitsgläsern nicht nur auf Nickelsulfid-Einschlüsse zurückzuführen sind.»
Verkehrsfläche
Bei einem Glasbruch zerfällt Einscheiben-Sicherheitsglas in meist kleine Bruchstücke (Krümel). Für Personen, die sich bei einem Glasbruch auf Verkehrsflächen unterhalb von Verglasungen aufhalten, besteht ein Verletzungsrisiko. Die Dichte und die Dauer der Personenbelegung auf der Verkehrsfläche sind für die Risikobeurteilung von zentraler Bedeutung. Weil für die Risikobeurteilung die durchschnittliche jährliche Belegungsdichte massgebend ist, wird die Personenbelegung subjektiv oft massiv überschätzt. Auf Grund von Modellrechnungen mit unterschiedlichen Personenbelegungen wurden für die Verkehrsflächen unterhalb von Vertikalverglasungen vier typische Kategorien festgelegt. Die Kategorien beschreiben Bereiche, die selten oder gelegentlich durch Personen belegt sind (Kategorie 0: z.B. Grünflächen ohne Spielplätze, Gebäudeumgebungen ohne häufig benutzte Gehwege), bis hin zu Verkehrsflächen, die ganzjährig aussergewöhnlich hohe Personenfrequenzen aufweisen (Kategorie III: z.B. Zugänge von Hauptbahnhöfen).
Glasgrösse
Mit zunehmender Fläche eines Glases ist üblicherweise auch eine grössere Glasdicke erforderlich. Mit der Glasgrösse ist darum eine nicht lineare Zunahme des Glasgewichts verbunden. Je mehr Glasmasse verbaut wird, desto grösser ist zudem die Wahrscheinlichkeit eines Nickelsulfid-Einschlusses oder einer weiteren Bruchursache. Im Weiteren nehmen mit zunehmender Glasgrösse auch die bei einem Glasbruch entstehende Menge der Bruchstücke und deren Streuweite zu. Neben der Personenbelegung ist die Glasgrösse der zweite zentrale Parameter der Risikobeurteilung.
Einfluss der Einbauhöhe
Das Verletzungsrisiko für Personen unterhalb von Vertikalverglasungen nimmt mit zunehmender Höhe der Verglasung ebenfalls zu. Da mit der Höhe sowohl die Streubreite der Glasfragmente als auch deren Fallgeschwindigkeit zunimmt und weil auch die Wahrscheinlichkeit eines Glasbruchs bei grossen Fassadenhöhen mit zahlreichen Gläsern steigt, ist das Verletzungsrisiko exponentiell von der verglasten Gebäudehöhe abhängig. Für die Beurteilung von Vertikalverglasungen mit unterschiedlich grossen Einzelgläsern über die Einbauhöhe ist immer das grösste Einzelglas über der Verkehrsfläche massgebend.
Tabellarische Ausgabe
Das Ziel der Arbeitsgruppe war es, eine pragmatische, allgemein gültige, klar verständliche und einfach anwendbare Risikobeurteilung zu erarbeiten. Die Resultate der Risikobeurteilung werden deshalb in tabellarischer Form dargestellt. Mit Hilfe von Tabellen für ESG ohne Heisslagerung und ESG mit Heat-Soak-Test lassen sich die empfohlenen maximalen Einbauhöhen von Vertikalverglasungen bestimmen, bei denen die Risiken für Personen unterhalb der Verglasungen akzeptierbar klein sind.
Informationspflicht
Im Merkblatt SIA 2057 wird auf die Informationspflicht an die Bauherrschaft hingewiesen. Da bei jedem Einscheiben-Sicherheitsglas eine Bruchgefahr besteht, ist die Bauherrschaft entsprechend zu informieren. Dies kann beispielsweise im Rahmen der Nutzungsvereinbarung erfolgen. In Deutschland sind Schadenfälle bekannt, die juristisch untersucht wurden, weil die Informationspflicht nicht wahrgenommen wurde. Das Vorliegen eines Baumangels wurde dabei beurteilt. In der Schweiz ist bisher kein Fall mit einem Personenschaden bekannt, der rechtliche Konsequenzen nach sich zog. ■
Anwendungsbeispiele:
Download
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