September 2023
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Kein gewöhnlicher Containerstapel

Stahlbau

Aussen ist sein industriell anmutendes Bild gefragt, doch drinnen soll es gemütlich sein: Die Verwandlung eines Seecontainers in ein Hotelzimmer erfordert einen erheblichen konstruktiven Aufwand.


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Die weit gereisten Container und die offene Stahlstruktur erzeugen den gewünschten Industrielook.
Die weit gereisten Container und die offene Stahlstruktur erzeugen den gewünschten Industrielook.

 

Stahlbau

Kein gewöhnlicher Containerstapel

Aussen ist sein industriell anmutendes Bild gefragt, doch drinnen soll es gemütlich sein: Die Verwandlung eines Seecontainers in ein Hotelzimmer erfordert einen erheblichen konstruktiven Aufwand.

Erstpublikation: steeldoc 04/22

Text: Daniela Meyer / Bilder: Jan Bitter und Max Schroeder

Warnemünde verfügt zwar über einen Hafen, doch Frachtcontainer gehören nicht zum Bild des Badeorts an der Ostsee. Es sind vor allem Kreuzfahrtschiffe und Segelboote, die dort anlegen. Dennoch findet sich in unmittelbarer Nähe der Werft ein Stapel bunter Seecontainer. Allerdings zeigt sich schnell, dass diese nicht mehr dem Warentransport dienen: Die gedrehte Anordnung ist ungewohnt, und über Fenster verfügen Frachtcontainer nicht. «Dock Inn» verkünden leuchtende Lettern, die darüber prangen und klarstellen, dass es sich dabei um eine Herberge handelt.
Das Design-Hostel heisst Weltenbummler willkommen, die an die Ostsee wegen der Wellen, des Winds und des weissen Sandstrands reisen. Im «Dock Inn» finden sie eine zum Budget passende Bleibe und einen Ort, an dem sie Gleichgesinnten begegnen. Denn in der rundum verglasten, zweigeschossigen Sockelzone gibt es nebst der Lobby ein Restaurant, einen Co-Working-Space und eine Boulderhalle. Bereits hier findet sich der eine oder andere umgenutzte Seecontainer, der den Aufenthaltsräumen maritimes Flair verleiht. Drei massive Treppenhäuser führen nach oben zu den gestapelten Containern, in denen sich die Gästezimmer befinden. Ähnlich wie auf einem Frachtschiff sind die Container in der Vertikalen über die in den Ecken eingelassenen Twistlocks miteinander verbunden. Punktuell sorgen zudem Flachstahlplatten für horizontale Verbindungen. So entsteht aus den einzelnen Modulen ein fester Körper. Zusätzlich sorgen Windverbände aus Flachstahl an den Stirnseiten der Container für die Sicherung gegen Windlasten.

Über die vorgelagerte Stahlkonstruktion aus verzinkten, verschraubten HEB-Profilen werden die Hotelzimmer erschlossen.
Über die vorgelagerte Stahlkonstruktion aus verzinkten, verschraubten HEB-Profilen werden die Hotelzimmer erschlossen.

 

Brandschutz

Beim Bauen mit Seecontainern befinden sich die beteiligten Planerinnen und Planer häufig in der Situation, dass keine Normen und keine klaren Vorgaben dafür existieren. Dennoch sind alle Sicherheitsmassnahmen einzuhalten. Oft hängt das Endresultat vom zuständigen Prüfingenieur ab, da nicht jede Beurteilung durch die zuständige Behörde gleich ausfällt. Im Fall des «Dock Inn», wo die Container sichtbar belassen wurden, stellte der Brandschutz eine besondere Herausforderung dar. Da eine Verkleidung nicht infrage kam, musste die Entfluchtung ausserhalb der Container vorgesehen werden, um die geforderte Feuerwiderstandsklasse zu erreichen. Eine vorgelagerte, offene Stahlkonstruktion erschliesst die Zimmer und dient gleichzeitig als Fluchtweg. Sie ist aus feuerverzinkten HEB-Profilen unterschiedlicher Dimensionen gefertigt, die miteinander verschraubt sind. Die Struktur ist etwas massiver dimensioniert als aufgrund der anfallenden Lasten notwendig. So kann sie ihre Funktion als Fluchtweg auch dann noch erfüllen, wenn eine Stütze ausfallen sollte. Auf den Stahlträgern liegen Betonfertigteile, die den Brandüberschlag verhindern sollen. Unter den Betonelementen angebrachte Windverbände sorgen auch hier für die notwendige Aussteifung.

 

«Die Struktur ist etwas massiver dimensioniert als aufgrund der anfallenden Lasten notwendig. So kann sie ihre Funktion als Fluchtweg auch dann noch erfüllen, wenn eine Stütze ausfallen sollte.»  

 

Der Laubengang steht genau wie die Container auf der Betondecke des Sockelgeschosses. Dabei sind die HEB-Stützen auf einen Stahlfuss geschraubt, dessen Fussplatte wiederum in die Betondecke geschraubt ist. Ein Elastomerlager trennt die beiden Konstruktionen voneinander. Die Fussplatten der Containerstützen sind hingegen auf Stahleinbauplatten geschweisst, die ebenfalls in der Betondecke verankert sind.
Sein aussergewöhnliches Erscheinungsbild erhält das «Dock Inn» durch die gedrehte Anordnung der 76 Container, wodurch die farbigen Seitenwände teilweise freigelegt werden. Ein neuer Farbanstrich erzeugt ein buntes Pixelbild und schützt vor Korrosion. Die Vorbereitung der Seecontainer auf die neue Nutzung erfolgte teilweise im Werk, teilweise auf der Baustelle. Die Lackierung sowie die Entfernung einzelner Längswände und der dadurch notwendige Einbau von Verstärkungen erfolgten werkseitig. Die Verglasungen, die die Tore an den Stirnseiten ersetzen, und die Türen wurden hingegen erst auf der Baustelle eingebaut.

Oben: Schnitt. Unten: Grundriss.1 Laubengang2 4er-Dorm mit zwei Hochbetten, 25 m 2 3 6er-Dorm mit drei Hochbetten, 50 m 2 4 Housekeeping
Oben: Schnitt. Unten: Grundriss.
1 Laubengang
2 4er-Dorm mit zwei Hochbetten, 25 m 2
3 6er-Dorm mit drei Hochbetten, 50 m 2
4 Housekeeping


Statisch und bauphysikalisch aufwendig

Über eine Tür in der Längswand betreten die Gäste ihr Doppelzimmer oder den 4er-Dorm, wo sie von einer zum Laubengang orientierten Wohnnische in Empfang genommen werden. Ein schmaler Korridor führt am Badezimmer vorbei zum Schlafbereich, der an der ruhigen Gebäuderückseite liegt. Diese Grundaufteilung in Aufenthalts- und Schlafbereich findet sich auch in den Suiten und den 8er-Dorms, die aus zwei aneinandergefügten Containern bestehen. Für diese räumliche Verbindung wurde
je eine Seitenwand der beiden Container entfernt, die deshalb verstärkt werden mussten. Anstelle der Doppelwände stehen nun zwei  Stahlstützen aus Hohlprofilen 90/50/10 nebeneinander in der Raummitte, die die Lasten zu den Bodenrandträgern der Container leiten. Als weitere Verstärkung findet sich in der Dämmebene einzelner Container eine Fachwerkkonstruktion aus vertikalen, rechteckigen Hohlprofilen 90/50/10 und diagonalen Zugstäben 60 × 5 mm, die die Lasten in die Eckknoten leiten. Die Stirnseiten der Container werden mit Rahmen aus Stützen und Riegeln (Hohlprofilen unterschiedlicher Dimensionen) verstärkt und punktuell mit diagonalen Zugstäben ausgesteift.

Grundriss 2. OG und Schnitte A–C einer Zimmereinheit, die aus zwei miteinander verbundenen Containern besteht.1–5 Stahlstützen als quadratische Hohlprofile:1 = 140 × 6,32 = 140 × 123 = 90 × 50 × 104 = 110 × 105 = 110 × 8,86 Wechselträger neu (rechteckiges Hohlprofil 140 × 60 × 3), Bestandsprofil gekürzt7 Bodenquerträger neu (rechteckiges Hohlprofil 140 × 60 × 3)8 Riegel (rechteckiges Hohlprofil 110 × 70 × 5)9 Flachstahl 150 × 510 Riegel (quadratisches Hohlprofil 140 × 5)11 Riegel (quadratisches Hohlprofil 80 × 5)12 Kantblech123 × 140 × 312 (t = 5 mm)13 Zugstab 60 × 514 Kantblech 70 × 110 × 68 (t = 5 mm)15 Durchbruch für Leitungen in Boden und Trapezblechdecke
Grundriss 2. OG und Schnitte A–C einer Zimmereinheit, die aus zwei miteinander verbundenen Containern besteht.
1–5 Stahlstützen als quadratische Hohlprofile:
1 = 140 × 6,3
2 = 140 × 12
3 = 90 × 50 × 10
4 = 110 × 10
5 = 110 × 8,8
6 Wechselträger neu (rechteckiges Hohlprofil 140 × 60 × 3), Bestandsprofil gekürzt
7 Bodenquerträger neu (rechteckiges Hohlprofil 140 × 60 × 3)
8 Riegel (rechteckiges Hohlprofil 110 × 70 × 5)
9 Flachstahl 150 × 5
10 Riegel (quadratisches Hohlprofil 140 × 5)
11 Riegel (quadratisches Hohlprofil 80 × 5)
12 Kantblech
123 × 140 × 312 (t = 5 mm)
13 Zugstab 60 × 5
14 Kantblech 70 × 110 × 68 (t = 5 mm)
15 Durchbruch für Leitungen in Boden und Trapezblechdecke

 

Sämtliche Zimmer zeichnen sich durch einfarbige Böden und Wände sowie hölzerne Einbaumöbel aus. Eine Materialwahl, die die extremen Dimensionen der Räume unterstreicht und den Zimmern den Charakter einer Schiffskoje verleiht. Der Innenausbau erfolgte auf der Baustelle und sorgt dafür, dass sämtliche Anforderungen bezüglich Wärmedämmung, Schall- und Brandschutz erfüllt sind.
Gegenüber einem leeren 40-Fuss-Container, dessen Innenmasse 12,19 m × 2,44 m × 2,70 m betragen, weisen die Standardzimmer noch eine Länge von 11,72 m und eine Breite von 2,09 m auf. Ihre Raumhöhe von 2,43 m erreichen sie, weil Container vom Typ «High Cube» zum Einsatz kamen, die 30 cm höher sind als der Standardtyp. Damit die Vakuumdämmung unversehrt blieb, war die Befestigung der Einbaumöbel nur an vorab definierten Stellen möglich, was eine detaillierte Planung und Ausführung erforderte. Erst als der Ausbau der Container abgeschlossen war, wurde das Baugerüst entfernt und die Laubengangkonstruktion erstellt.

 

Die Laubengänge sind wesentlicher Bestandteil des Brandschutzkonzepts und gleichzeitig ein Begegnungsort.
Die Laubengänge sind wesentlicher Bestandteil des Brandschutzkonzepts und gleichzeitig ein Begegnungsort.

 

Hotelzimmer mit zweiseitiger Orientierung

Wie bei den meisten Containerbauten sorgt auch beim «Dock Inn» ein neues Dach dafür, dass
es darunter trocken bleibt. Ob im Innern eines Containers Paletten gestapelt sind oder ein frisch bezogenes Hotelbett steht, macht einen bedeutenden Unterschied. Holzer Kobler Architekturen aus Zürich und Berlin, die mit Planung und Entwurf betraut waren, haben bereits vor dem Hostelbau in Warnemünde Erfahrungen mit Containerkonstruktionen gesammelt. Den Aufwand, die Container an die neue Nutzung anzupassen und die dabei geltenden Vorschriften einzuhalten, schätzen die Architekturschaffenden als erheblich ein. Hinsichtlich der Nachhaltigkeit bezweifeln sie, dass die Wiederverwendung von Seecontainern für Wohnprojekte Vorteile gegenüber einem konventionellen Modulbau aufweist. Im Fall des «Dock Inn» wurden die Container leer nach Warnemünde transportiert – ein Vorgehen, das man im Frachtgeschäft tunlichst vermeiden würde. Anschliessend wurden die Elemente für den Ausbau separat angeliefert.
Konventionelle modulare Bauweisen, die auf standardisierten Prozessen basieren und bei denen die Teile auf speziellen Produktionsstrassen angefertigt werden können, eignen sich wohl besser für Bauten im grossen Massstab.  ■

Die einheitliche Farbgebung betont die extreme Geometrie der Gästezimmer.
Die einheitliche Farbgebung betont die extreme Geometrie der Gästezimmer.

 

Bautafel 

Projekt:

Design Hostel «Dock Inn», Rostock (D)

Bauherrschaft:

Immobilienverwaltung Köster & Nissen GbR, Rostock (D)

Tragwerksplanung:

Ingenieurbüro Hippe, Rostock

Architektur:

Holzer Kobler Architekturen GmbH, Zürich

Innenarchitektur:

Kinzo Architekten GmbH, Berlin

Tragwerksplanung Container:

Ingenieurbüro für Statik, Konstruktion und Bauphysik Andreas Leipold, Berlin

Metallbau:

Metallbau Rostock, Rostock

Stahlsorten:

S 235

 

Das Fachregelwerk Metallbauerhandwerk – Konstruktionstechnik enthält im Kap. 1.4.5 wichtige Informationen zum Thema «Ausführung von Stahlbauten».