Hochfester Stahl als Spielmacher für Real Madrid
Stahlbau
Das Estadio Santiago Bernabéu ist Mythos und Magnet zugleich. Als Heimat von Real Madrid, einem der erfolgreichsten Fussballvereine der Welt, ist die 1947 eröffnete Arena regelmässig Schauplatz legendärer Begegnungen. Nach mehreren Umbauten und Erweiterungen in den vergangenen Jahrzehnten begann im Jahr 2019 die spannendste Partie des Fussballtempels – die Transformation zu einer Multifunktionsarena, die weltweit ihresgleichen sucht.
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Stahlbau
Hochfester Stahl als Spielmacher für Real Madrid
Das Estadio Santiago Bernabéu ist Mythos und Magnet zugleich. Als Heimat von Real Madrid, einem der erfolgreichsten Fussballvereine der Welt, ist die 1947 eröffnete Arena regelmässig Schauplatz legendärer Begegnungen. Nach mehreren Umbauten und Erweiterungen in den vergangenen Jahrzehnten begann im Jahr 2019 die spannendste Partie des Fussballtempels – die Transformation zu einer Multifunktionsarena, die weltweit ihresgleichen sucht.
Für Real Madrid war bei der Umsetzung der ambitionierten Neugestaltung nur die jeweils beste Lösung gut genug. Dies galt für die am Bau beteiligten Unternehmen ebenso wie für die eingesetzten Materialien. Beispielhaft dafür steht S690QL1 von Dillinger, ein hochfester Premiumstahl für leichte Stahlbaukonstruktionen, der in nie zuvor eingesetzter Menge für solch ein Projekt die herausfordernde Dachkonstruktion des Estadio Santiago Bernabéu erst ermöglichte.
Das neue, spektakuläre Stadiondesign ist ein Gemeinschaftsentwurf des Hamburger Architekturbüros von Gerkan, Marg und Partner (gmp), der spanischen Projektpartner L35 Arquitectos, Ribas & Ribas Arquitectos sowie der Ingenieurbüros schlaich bergermann partner (sbp) und INES Consulting Engineers. Neben der skulpturalen Hülle aus diagonal geschwungenen Edelstahllamellen mit unterschiedlichen Transparenzgraden, dem versenkbaren Rasen und einem 360-Grad-LED-Screen an der inneren Dachkante zählt die schwebend anmutende Dachkonstruktion mit vollständig einfahrbarem Innendach zu den prägenden Designelementen des neuen Bernabéu-Stadions. Das spanische Stahlbauunternehmen Horta Coslada wurde mit dem Bau von gleich drei dieser herausragenden Gestaltungselemente beauftragt. Mit vier Werken in Spanien und einer Gesamtproduktionsfläche von 390 000 m 2 ist Horta Coslada das grösste Stahlbauunternehmen Spaniens und auf komplexe Grossprojekte wie Brücken, Stadien, Infrastruktur und Hochhäuser spezialisiert.
Grossaufgebot an S690 im Bernabéu-Stadion
Seit etwa 15 Jahren setzt Horta Coslada auch auf Stahl von Dillinger: Beispielhaft dafür sind der Cepsa-Turm in Madrid, mit 249,5 m der höchste Wolkenkratzer Spaniens, und die Pont de l’Assut de l’Or in Valencia. Für das Dach des Bernabéu-Stadions verarbeitete Horta Coslada insgesamt 13 000 Tonnen Stahl, davon 3100 Tonnen des höherfesten Stahls S690QL1 von Dillinger in Blechdicken von 10 bis 120 mm. Diese höhere Festigkeit ermöglicht leichtere und schlankere Konstruktionen, die sonst bautechnisch nicht möglich wären. Das geringere Gewicht der Komponenten erlaubt zudem grössere Bauteile und erschliesst gänzlich neue architektonische Möglichkeiten. Zugleich sinken Kosten- und Zeitaufwand des Schweissvolumens deutlich. Als Premiumhersteller bietet Dillinger ein sehr breites Spektrum an höherfesten Güten. Dazu zählen auch solche besonderen Produkte wie S690 nach Norm bis in grösste Blechdicken. Im Kranbau ist der Einsatz dieses Stahls gängige Praxis, wohingegen er im Stahlbau eher untypisch ist und – wenn überhaupt – nur in geringen Tonnagen eingesetzt wird. Nach der Einschätzung von Alejandro Otero Gutiérrez, Geschäftsführer von Horta Coslada, wurde eine so grosse Menge an S690, wie sie für das Dach des Bernabéu-Stadions verarbeitet wurde, in Europa noch nie zuvor im Stahlbau eingesetzt. Die von Horta Coslada auch für dünnere Bleche bestellte QL1-Klasse ist zudem durch die schärfste Zähigkeitsklasse ein besonders anspruchsvoller Stahl, der höchste Sicherheitslevels erfüllt.
Bau der neuen Dachkonstruktion ohne Zutritt zum Innenraum
Der Fussballtempel im Zentrum von Madrid blickt auf eine lange Geschichte zurück. Erklärtes Ziel von Real Madrid war es, mit dem jetzigen Umbau dem legendären Estadio Santiago Bernabéu ein völlig neues Gesicht zu geben und es zum besten Stadion der Welt zu machen. Mit vier neuen Tribünenstockwerken, Einkaufszentrum, Hotel, interaktivem Klubmuseum, verfahrbarem Hightech-Dach und versenkbarem Rasenspielfeld läutet die Heimstätte des spanischen Rekordmeisters den Beginn einer neuen Generation an Multifunktionsarenen ein. Als weltweite Referenz in Sport und Architektur soll die hochmoderne Arena fortan nicht nur ein Schauplatz der Emotionen sein, sondern auch ein Maximum an Komfort, Sicherheit und Spitzentechnologie bieten. Das Bernabéu-Stadion liegt direkt an der Hauptverkehrsader im dichtbesiedelten Zentrum von Madrid. Eine besondere Herausforderung bei der Renovierung war folglich für alle daran beteiligten Unternehmen die ursprüngliche Auflage von Real Madrid, den gesamten Stadionumbau bei laufendem Spielbetrieb und ohne jeglichen Zutritt zum Innenraum auszuführen. Der von Real Madrid eingesetzte Generalunternehmer Fomento de Construcciones y Contratas (FCC) und Horta Coslada entwickelten deshalb gemeinsam eine Konstruktionsstrategie, um die für die Dachkonstruktion erforderlichen riesigen Traversen ausserhalb des Stadions zusammenzubauen. Kernbestandteil dieser Strategie war eine provisorische Plattform in 6 m Höhe vor dem westlichen Stadioneingang, auf der alle Komponenten der Dachträger vormontiert wurden. Durch diese Konstruktion hätten die Zuschauer das Stadion wie unter einer Brücke hindurch betreten und verlassen können.
Vier Traversen für gesamte Dachlast
Vergleichbar anspruchsvolle Anforderungen hatte Horta Coslada bereits bei den Stadien von Atlético Madrid und Olympique Marseille erfolgreich umgesetzt, was das Unternehmen auch für das Bernabéu-Stadion als erste Stahlbauadresse empfahl. Im Jahr 2019 wurde das erfahrene Stahlbauunternehmen deshalb von FCC mit dem Bau des neuen Dachs des Bernabéu-Stadions beauftragt. Die ursprüngliche Planung der Ingenieure für das Hauptdach beruhte auf dem leichten Speichenradprinzip: ein innerer Zugring, der über 44 Radialseile mit einem äusserem Druckring verbunden werden und auf Stahlauslegern der Bestandsschüssel lagern sollte. Diese leichte Seilkonstruktion wurde durch FCC aufgegeben und durch ein konventionelleres System mit vier Fachwerkträgern aus Stahl, die das gesamte Stadiondach tragen, ersetzt. Hauptträger sind die Nord- und die Südtraverse, jeweils je 6 m breit und hoch bei einer Spannweite von 176 m. Diese Schlüsselelemente des Dachs spielten zugleich eine entscheidende Rolle für die gesamte Montage: Während der Bauarbeiten ermöglichten sie, die übrigen Dachkomponenten auf der Plattform ausserhalb des Stadions vorzumontieren. Beide Hauptträger wurden in Fachwerkkonstruktion vollständig aus dem höherfesten Stahl S690 gebaut und wiegen jeweils fast 1500 Tonnen. Sie liegen an nur vier Punkten, sprich Säulen, auf, von denen zwei neu gebaut wurden. «Diese Konstruktion war nur mit der Stahlsorte S690, einem leichten Stahl mit sehr hoher Streckgrenze, möglich», erklärt Alejandro Otero Gutiérrez. Er ergänzt: «Die nur dadurch erzielbare Gewichtseinsparung war ausschlaggebend für das Gelingen der gesamten Konstruktion: Verglichen mit anderen Lösungen konnten wir durch den Einsatz dieses Stahls etwa 40 Prozent Stahl einsparen!» Rund ein Drittel der gesamten Dachkonstruktion des Bernabéu-Stadions wurde aus S690 von Dillinger gefertigt. «Bei anderen Stahlgüten hätte das Dach etwa 20 000 Tonnen Gewicht gehabt. Mit dem S690 haben wir nur etwa 12 000 Tonnen Stahl benötigt», sagt Otero Gutiérrez. Für die beiden anderen Träger, die Ost- und Südtraversen mit einer Spannweite von 138 m, wurden die Stahlgüten S690 und S460 zu etwa gleichen Anteilen kombiniert.
Herausfordernde Fertigung, Montage und Installation
Die Vorfertigung aller Einzelteile erfolgte im Werk von Horta Coslada am Standort Madrid. Über 100 000 Teile wurden dort geschnitten und gebohrt, bevor sie in der vorgeschriebenen Geometrie zu transportfähigen Elementen aus Trägern und Diagonalen zusammengeschweisst wurden. Für den Transport zur Baustelle mit maximal 18 m langen Elementen musste jeder Träger in 40 Teile unterteilt werden. Um sicherzustellen, dass auf der Baustelle alle Schrauben auch wirklich passten, erfolgte in den Produktionshallen von Horta Coslada die komplette Probemontage aller Komponenten. Die gesamte Trägerkonstruktion über dem Stadion ist vollständig verschraubt, ohne eine einzige Schweissnaht. Insgesamt 336 500 Schrauben waren dafür erforderlich. Nach der Vormontage auf der Plattform ausserhalb des Stadions wurden die Nord- und Südtraversen mit einem 600-Tonnen-Raupenkran angehoben und von den vier Ecken aus oben in der Luft Schritt für Schritt zusammengeschraubt. Die vormontierten Komponenten der beiden anderen Traversen wurden dann paarweise angehoben, verschraubt und – gestützt durch die Haupttraversen – auf Rädern mittels Elektromotoren auf die gegenüberliegende Seite geschoben. Durch den Einsatz des höherfesten Stahls S690 wurde nicht nur die Tonnage des Dachs verringert, sondern auch die Anzahl der erforderlichen Bauteile und die Zahl der benötigten LKW für den Transport zur Baustelle. «Wir haben rund 300 LKW eingespart», konkretisiert Otero Gutiérrez diesen Vorteil. Angesichts der Lage des Stadions im Herzen von Madrid bedeutete dies nicht nur eine signifikante Senkung der Verkehrsbelastung auf der vielbefahrenen Zufahrtsstrasse, sondern auch eine massgebliche Verringerung der Umweltbelastung durch CO 2 .
Kantersieg von S690 im neuen Superstadion
Rückblickend erklärt der Stahlbauer: «Ich kann nur sagen, dass es eines der schwierigsten Projekte in unserer Unternehmensgeschichte war – wegen der Baumethode, der Logistik, des extrem engen Zeitplans und der Stahlsorte. Die Stahlsorte war aus meiner Sicht dabei wahrscheinlich sogar eine der grössten Herausforderungen. Ich kenne in Europa nur zwei Firmen, die diesen Stahl in dieser Dicke herstellen können. Dillinger ist in Europa als wahrscheinlich bester Lieferant von so dicken und hochwertigen Stählen bekannt.» Sein Unternehmen hat mit Dillinger bereits viele Projekte erfolgreich abgewickelt. Die hohe Kapazität und die Liefertreue des Stahlherstellers sprachen angesichts des engen Zeitplans überdies für die Zusammenarbeit mit dem saarländischen Lieferanten. «Dies war ein einzigartiges Projekt mit hoher Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Deshalb haben wir uns entschieden, nur mit den besten Partnern zu arbeiten, die wir haben können. Deshalb war auch Dillinger für uns Partner der Wahl.» ■
Bautafel
Objekt:
Estadio Santiago Bernabéu, Madrid
Architekten:
Von Gerkan, Marg und Partner (gmp), Hamburg und L35 Arquitectos, Ribas & Ribas Arquitectos, Barcelona
Ingenieurbüros:
schlaich bergermann partner (sbp), Berlin und INES Consulting Engineers, Madrid
Stahlbau:
Horta Coslada, Madri
Stahllieferant:
AG der Dillinger Hüttenwerke (Dillinger), Dillingen (D)