Dezember 2023
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Fluchttreppenturm additiv und reversibel zum Bestand

Architektur und Technik

Wo mit grösseren Menschenansammlungen zu rechnen ist, wird von Gesetzes wegen ein entsprechend ausgebauter Fluchtweg gefordert. So auch für die Aula des Fach- und Wirtschaftsmittelschulzentrums in Luzern. Gefordert war ein zweiter Fluchtweg. Aus denkmalpflegerischen Gründen sollte dieser aussenliegend geplant werden. Um mit dem erforderlichen Treppenturm das äussere Erscheinungsbild der Fassade so wenig wie möglich zu beeinträchtigen, wählten die Architekt*innen Standplatz, Form und Materialien sorgfältig aus.


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Den Architekten war wichtig, dass die Sichtbezüge zum historischen Gebäude von aussen möglichst uneingeschränkt erhalten bleiben.
Den Architekten war wichtig, dass die Sichtbezüge zum historischen Gebäude von aussen möglichst uneingeschränkt erhalten bleiben.

 

Architektur und Technik

Fluchttreppenturm additiv und reversibel zum Bestand

Wo mit grösseren Menschenansammlungen zu rechnen ist, wird von Gesetzes wegen ein entsprechend ausgebauter Fluchtweg gefordert. So auch für die Aula des Fach- und Wirtschaftsmittelschulzentrums in Luzern. Gefordert war ein zweiter Fluchtweg. Aus denkmalpflegerischen Gründen sollte dieser aussenliegend geplant werden. Um mit dem erforderlichen Treppenturm das äussere Erscheinungsbild der Fassade so wenig wie möglich zu beeinträchtigen, wählten die Architekt*innen Standplatz, Form und Materialien sorgfältig aus.

Text: Redaktion / Bilder: Markus Käch

Das Fach- und Wirtschaftsmittelschulzentrum am Hirschengraben 10 – ehemalige Kantonsschule aus dem Jahre 1893 – gehört zusammen mit der Franziskanerkirche, dem Regierungsgebäude und der Jesuitenkirche zu historisch bedeutsamen Gebäuden in der Kleinstadt von Luzern. Der Bestand, im Stile der Neurenaissance erbaut, besticht durch seine klare Gliederung und die schmuckvolle Fassadengestaltung. In der heutigen Zeit konnte die repräsentative Aula des Mittelschulzentrums jedoch die Vorschriften bezüglich Personensicherheit nicht mehr erfüllen. Der Fluchtweg der Aula war für lediglich 80 Personen ausgelegt.
Im Jahr 2019 wurde Roman Hutter Architektur GmbH (RHA), Luzern von der Dienststelle Immobilien des Kantons Luzern, mit der Vorstudie beauftragt. Aus dieser resultierte das Konzept eines freistehenden, zwölfeckigen Treppenturms.

 

Mit rund 6,5 m Abstand zur Fassadenecke wirkt der Metallturm zurückhaltend und eigenständig.
Mit rund 6,5 m Abstand zur Fassadenecke wirkt der Metallturm zurückhaltend und eigenständig.

 

Uneingeschränkte Sichtbezüge

«Wir wollten einen Treppenturm konzipieren, der sich additiv und reversibel zum Bestand verhält», erklärt Céline Burgener, verantwortliche Projektleiterin bei RHA, im Zuge der Objektbegehung und fügt an: «Uns war wichtig, dass die Sichtbezüge zum historischen Gebäude von aussen möglichst uneingeschränkt erhalten bleiben. Darum haben wir den Treppenturm von der bestehenden Fassade abgelöst und ihn in die direkte Verlängerung der nordwestlichen Ecke der Aula gestellt. So bleibt die Fassade der Aula sowohl von Westen wie auch von Norden her als Ganzes erlebbar und der Treppenturm wird als Teil des parkähnlichen Grünraums gelesen. Diese konzeptionellen Grundsatzentscheide deckten sich zudem mit den Anforderungen seitens Ortsbild- und Umgebungsschutz» 

Gitterroste und Stufen mit Gleitschutz. Auf der Innenseite gewähren Handläufe ein sicheres Begehen.
Gitterroste und Stufen mit Gleitschutz. Auf der Innenseite gewähren Handläufe ein sicheres Begehen.

 

Auch von innen gesehen sollte die Sicht durch die repräsentativen Fensterfronten auf den Franziskanerplatz nicht durch einen aussen stehenden Turm eingeschränkt werden. Im Inneren dient heute der ehemalige hölzerne Einbauschrank in der Raumecke als Fluchttür zum Treppenturm. Erschlossen wird der neue Fluchtweg mit einer kleinen Holztreppe auf der Innenseite. Mit dieser Lösung wurde die wertvolle Bausubstanz nur marginal beeinträchtigt und die prägenden Zierelemente konnten erhalten bleiben.
Mit rund 6,5 m Abstand zur Fassadenecke wirkt der Metallturm mit seinem Spiralgeflecht aus einer Kupferlegierung zurückhaltend und doch eigenständig. Die Form des Treppenturms mit seinem metallenen Gewand sucht eine Verwandtschaft zum Bestand und fügt sich damit harmonisch in den sensiblen Stadtkörper ein.

Blick von unten: Ob Webnet um den Kern oder Spiralgeflecht am Aussenmantel., alle Bekleidungselemente sind sehr transparent.
Blick von unten: Ob Webnet um den Kern oder Spiralgeflecht am Aussenmantel., alle Bekleidungselemente sind sehr transparent.

 

Innere Tragstruktur

Der 11 m hohe Treppenturm steht auf einem gut sichtbaren Betonsockel und misst im Grundriss ca. 4,5 m x 4,5 m. Sein Mantel jedoch ist nicht quadratisch, er besteht aus zwölf Segmenten, wobei in Anlehnung an den Grundriss der Aula, die Eckelemente jeweils in einem Winkel von 45° zum metaphorischen Quadrat stehen.
Die vier Haupt-Segmente der Seitenflächen haben durch einen mittigen Knick eine leicht konvexe Form.  Wer genau hinschaut, stellt fest, dass die vertikale Rasterung des unteren Teils doppelt so eng ist wie diejenige des oberen Turmbereichs. Damit wird die Teilung der historischen Fassade im goldenen Schnitt widergespiegelt. Ausserdem macht das engere Raster unten das Gebilde resistenter gegen Vandalismus.
Das Rückgrat der Treppenkonstruktion besteht aus einer inneren Tragstruktur. Vier quadratisch angeordnete Stahlstützen aus RRW 120 x 120 x 10 mm bilden den 1,30 m x 1,30 m messenden Kern, der sich bis zum höchsten Punkt erstreckt. Zusammen mit der Stahlwangen-Wendeltreppe und den äusseren Vertikalprofilen bildet er das statisch stabilisierende Element der Konstruktion.

Die Stahlwangentreppe mit ihren Gitterroststufen windet sich zweimal 360° nach oben und besteht aus acht Eckpodesten und ebenfalls acht Treppenläufen. Das vertikale Aussengerippe – wo auch das Spiralgeflecht befestigt ist – besteht aus einzelnen Rahmensegmenten, die dicht aneinandergefügt, verschraubt und oben mit dem Dachkranz verbunden sind. Alle Profilierungen sind T-förmig ausgebildet, mit Steg gegen aussen. Die Herstellung erfolgte durch Abbiegen von lasergeschnittenen Stahlblechen. Die T-förmigen Konturen werden durch jeweils zwei aneinandergefügte Blechwinkel gebildet. Je nach Fügungsgeometrie weisen diese unterschiedliche Abbugwinkel auf.
«Der geometrisch spezielle Grundriss des Aussenmantels machte sich bei nahezu allen Bauteilen bemerkbar und erforderte entsprechend viele Berücksichtigungen, erklärt Roger Pfister, Leiter Technik bei der ausführenden Unternehmung, der Schlosserei Andreas Rohrer AG, Kägiswil. Pfister ergänzt: «Nicht nur die Profilierungen bildeten eine grosse Vielfalt. Auch bei den Gitterroststufen und den Gitterrosten galt es, die entsprechenden Winkel zu berücksichtigen und alle mit Schrägschnitten auszubilden. Sogar die obere, einflügelige Zutrittstür zum Turm weist in der Mitte einen vertikalen Knick auf.»
  

Vertikalprofil mit Spiralgeflecht. Das eingeflochtene Drahtseil hält den Vertikalstab resp. das Geflecht immer unter Spannung.
Vertikalprofil mit Spiralgeflecht. Das eingeflochtene Drahtseil hält den Vertikalstab resp. das Geflecht immer unter Spannung.

 

Metallgitter für die Aussenhaut

«In der Diskussion mit der Bauherrschaft und unter Berücksichtigung der denkmalpflegerischen Anforderungen an die Gestaltung sowie eine möglichst gute Eingliederung in das Ortsbild, einigte man sich auf eine stabile, bronzefarbige und aus allen Betrachtungswinkeln transparent erscheinende Aussenhaut»,  erläutert Céline Burgener und ergänzt: «Im Zuge von Recherchen stiessen wir bei der Sennrich AG auf ein Spiralgeflecht aus Kupfer mit Messingbehandlung. Der Entscheid war gefallen, denn dieses Spiralgeflecht erfüllte alle Anforderungen.
Für die Verkleidung und Absicherung des Treppenauges im Zentrum des Turms suchten wir nach einer grobmaschigeren Lösung und entschieden uns für Webnet von Jakob Rope Systems. Das Netz besteht aus Edelstahl und ist mit einer PVD-Goldbeschichtung (Vakuumbeschichtungsverfahren) veredelt. Auch bei der Farbauswahl machten wir es uns nicht leicht: Wir hatten viele verschiedene Farbnuancen gegenübergestellt und diese bei unterschiedlichsten Lichtverhältnissen, gemeinsam mit der kantonalen Denkmalpflege, verglichen, bis wir uns für die Pulverbeschichtung in IGP-HWF classic 5903, 5903 E82303 S3F entschieden.»  

Bild Redaktion. Horizontalprofil mit Schrauben-Spannmechanismus unten. Gut zu sehen sind die einzelnen, wie ein Kamm in die Maschen greifenden Laschen.
Bild Redaktion.
Horizontalprofil mit Schrauben-Spannmechanismus unten. Gut zu sehen sind die einzelnen, wie ein Kamm in die Maschen greifenden Laschen.

 

Die Brücke zum Turm

Die Verbindungsbrücke führt mit einer Länge von 8,5 m von der Fluchttür des Bestandgebäudes horizontal bis zur inneren Tragstruktur des Turms und ist mit den Stahlrohrstützen verschraubt. Zwei längsseitig parallel verlaufende UPE 200-Träger bilden das primäre Tragwerk. Handlauf und Geländerpfosten sind ebenfalls winkelförmig, aus gebogenem Stahlblech hergestellt. Die durch das Biegen entstandenen Radien machen den Handlauf angenehm in seiner Form. Die in regelmässigen Abständen angeordneten T-förmigen Pfosten sind auf den aussenseitigen Rücken des UPE geschraubt. Das Spiralgeflecht ist aussenseitig eingesetzt und von oben nach unten verspannt.

Blick von der Fluchttür: Der Dachbereich ist offen und lässt Regen und Schnee auf die Treppe fallen.
Blick von der Fluchttür: Der Dachbereich ist offen und lässt Regen und Schnee auf die Treppe fallen.

 

Montage – Aufbau im freien Luftraum

«Glücklicherweise verfügt unsere Firma über ein erfahrenes und eingespieltes Montageteam, was bei dieser sicher nicht alltäglichen Montage von Vorteil war», erläutert Roger Pfister. «Als Erstes – so Pfister weiter – wurden die vier Rohrstützen an ihren Zielort gehievt und mit dem Fundament verankert. Dann folgte die Tragkonstruktion der Brücke, welche am Bestandsgebäude und an den Stützen befestigt wurde. Mit der Montage und Verschraubung der innenliegenden Treppenwangen an die vier Stützen konnten wir bereits eine gewisse Grundstabilität erreichen. Dann kam die doch etwas lebendige und wackelige Zusammenfügung der unteren Rahmenelemente in Kombination mit den äusseren Treppenwangen. Das Ganze wiederholte sich mit den oberen, viel höheren Rahmenelementen. Der Dachrahmen mit seinen Flachstahlverbindungen – den wir zweiteilig hergestellt hatten – wurde als krönender Abschluss aufgesetzt.»

Bild: D-Planung Mühlebach Designconcept AG. 3D-Ansicht: Gut zu erkennen sind auch die aussen konvex verlaufenden Aussenflächen.
Bild: D-Planung Mühlebach Designconcept AG.
3D-Ansicht: Gut zu erkennen sind auch die aussen konvex verlaufenden Aussenflächen.

 


Anschliessend folgte die Bespannung mit dem Spiralgeflecht. Oben an einem Stab hängend und am Dachrahmen befestigt, wurden die einzelnen Bahnen auf der Innenseite nach unten abgerollt. Ein spezieller Spannmechanismus, bestehend aus Zugschrauben und einer Reihe von einzelnen, wie ein Kamm in die Maschen des Spiralgeflechts greifenden Laschen, ermöglichten eine ausgeglichene Bespannung. Dann folgte das vertikale Einschieben eines Führungsstabs. Um diesen unter Zug zu halten, wurden vertikal immer zwei Geflechte mit einem eingeflochtenen Drahtseil miteinander verbunden. Nach Abschluss der Montage der Stahlkonstruktion wurden die elektrischen Erschliessungen vorgenommen. Deren Zuleitungen sind alle unsichtbar in die Profilhohlräume integriert

Bild: zVg: Nach dem Aufrichten der vier Stahlstützen folgte die Brücke. Dann die Innenwangen, die Aussenwangen und folgend die Rahmen der Aussenhülle.
Bild: zVg: Nach dem Aufrichten der vier Stahlstützen folgte die Brücke. Dann die Innenwangen, die Aussenwangen und folgend die Rahmen der Aussenhülle.

 

Fazit

Aufgrund der Lage in der Ortsbild-Schutzzone A, der unmittelbaren Nähe zu mehreren Schutzobjekten, sowie der Bedeutung des Gebäudes selbst, galt es, die hohen Anforderungen seitens Denkmalpflege und Ortsbildschutz an Qualität und Eingliederung in den städtebaulichen Kontext zu berücksichtigen und erfüllen.

Entstanden ist ein Bauwerk, das sich durch seine zurückhaltende Anmut wie selbstverständlich in den bestehenden Kontext integriert. Die verschiedenen Lichtstimmungen im Jahres- und Tagesverlauf bereichern den Ort auf subtile Weise.  ■

 

Bautafel 

Bauherrschaft:

Kanton Luzern, Dienststelle Immobilien, Luzern

Architektur / Bauleitung:

Roman Hutter Architektur GmbH, Luzern

Metallbau:

Schlosserei Andreas Rohrer AG, Kägiswil
3D-Planung Mühlebach Designconcept AG, Wilen (Sarnen)

 

 

Technische Daten

Gitterroste / Stufen:
Sprich AG, Baar
Tragstab 40/2 mm, Maschenweite 33 x 33 mm / Mit Sicherheitsantrittskante und rutschhemmender Gehfläche.

Webnet im Treppenauge:
Jakob Rope Systems, Trubschachen
Micro, Masche 40 mm, 1.4401 in PVD Gold.

Spiralgeflecht:
Sennrich AG, Meilen
Sierra Papa, Kupfermasche 12-1,8. Nordic Gold, Kanten geschweisst.

Oberflächenbehandlung:
Feuerverzinkt, duplexiert in IGP-HWF classic 5903, E82303 S3F.

 

Das Fachregelwerk Metallbauerhandwerk – Konstruktionstechnik enthält im Kap. 2.35 wichtige Informationen zum Thema «Gebäudetreppen».