September 2021
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Fassaden für extreme Klimabedingungen

Metallbauplanung fürs Hochgebirge

Die neue V-Bahn der Jungfraubahnen ist ein Projekt der Superlative. Die Fassaden und Tore der Station Eigergletscher verlangten innovative Lösungen. Die Fassadenhaut kann einfach demontiert werden, hält aber trotzdem den extremen klimatischen Bedingungen des Hochgebirges stand.


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Die neue Umsteigedrehscheibe schmiegt sich am Fusse des Eigers in die Landschaft. Augenfällig, die langgezogene 141 m lange und bis 16 m hohe Fassade aus grauen Glasfaser-Beton-Elementen und Glas.
Die neue Umsteigedrehscheibe schmiegt sich am Fusse des Eigers in die Landschaft. Augenfällig, die langgezogene 141 m lange und bis 16 m hohe Fassade aus grauen Glasfaser-Beton-Elementen und Glas.

Metallbauplanung fürs Hochgebirge

Fassaden für extreme Klimabedingungen

Die neue V-Bahn der Jungfraubahnen ist ein Projekt der Superlative. Die Fassaden und Tore der Station Eigergletscher verlangten innovative Lösungen. Die Fassadenhaut kann einfach demontiert werden, hält aber trotzdem den extremen klimatischen Bedingungen des Hochgebirges stand.

Text: Peter Camenzind, Hilterfingen / Bilder: Kurt Speiser und Pascal Bögli

Stürme, Schnee, Eis und Hitze: Bauen im hochalpinen Raum ist eine Herausforderung. Die Planung von Fassaden, die dieser extremen Umgebung standhalten können und hohe ästhetische Anforderungen erfüllen, noch viel mehr. Das zeigt das Projekt der Bergstation Eigergletscher der neuen 3S-Bahn Eiger Express. Die neue Umsteigedrehscheibe für die Fahrt aufs weltbekannte Jungfraujoch – Top of Europe – schmiegt sich am Fuss des Eigers in die Landschaft. Augenfällig ist die langgezogene 141 m lange und bis 16,2 m hohe Fassade aus grauen Glasfaser-Betonelementen. Sie erinnert an eine Galerie, die von einem Lehnenviadukt gestützt wird. Zwei aufgesetzte Glasquader schaffen die Verbindung zu den historischen Gebäuden des Bahnhofs Eigergletscher, erschliessen die Zahnradbahn aufs Jungfraujoch – Top of Europe – und ermöglichen einen direkten Zugang auf die Skipisten. Hier öffnen sich atemberaubende Blicke auf die raue Natur.

 

Glasfaser-Beton lieferte in umfangreichen Materialtests die besten Ergebnisse und kam – in Kombination mit Glas – für die Fassade zur Anwendung.
Glasfaser-Beton lieferte in umfangreichen Materialtests die besten Ergebnisse und kam – in Kombination mit Glas – für die Fassade zur Anwendung.

Stürme und extremes Klima

Der «Guggiföhn», mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 250 km/h, verursacht eine Windlast von 2,2kN/m2. Nach SIA-Norm war eine Windsoglast von 3,9 kN/m2 zu berücksichtigen. Die Schneelasten auf den Brüstungselementen und Abdeckprofilen betragen 12 kN/m2, im Mittelland sind es gerade mal 0,9 kN. Sollte sich im Winter beim Hängegletscher ob der Station eine Staublawine lösen, ist die Resttragfähigkeit der Fassaden so berechnet, dass die Schneemassen nicht ins Gebäude eindringen können. Damit sich keine Schneewechten und Eiszapfen bilden, sind die Dachverglasungen beheizt. Auch darf kein Flugschnee eindringen. Darum ist die Fassadenhaut abgedichtet. Kurz: Die Fassade verlangte an allen Ecken und Enden innovative Lösungen. «Ohne unser 40-jähriges Fachwissen beim Bauen im hochalpinen Raum und den kreativen Köpfen im Team wären wir nicht in der Lage gewesen dieses Projekt zu stemmen», sagt Kurt Speiser, Inhaber und Geschäftsführer der Speiser Metallbauplanung GmbH, Thun.  

Innenansicht der verglasten Brücke: Eine Pfosten-Riegel-Konstruktion (innen Stahl, aussen Aluminium.
Innenansicht der verglasten Brücke: Eine Pfosten-Riegel-Konstruktion (innen Stahl, aussen Aluminium.
3D-Planausschnitt der Fassade, erstellt von der ausführenden Unternehmung Pichler Schweiz AG.
3D-Planausschnitt der Fassade, erstellt von der ausführenden Unternehmung Pichler Schweiz AG.

Abgedichtete, vorgehängte Fassade

Unter anderem aus ästhetischen Gründen kam eine konventionelle Metall-Glas-Fassade an diesem sensiblen Standort nicht in Frage. «Unsere Aufgabe als Teil des Generalplanerteams war, eine vorgehängte Fassade aus Glasfaser-Beton-Elementen zu entwickeln», erläutert Kurt Speiser. Der Clou: Die 4,5 m hohen und bis zu 2,5 m breiten - total 372 - Fassadenelemente können einzeln ausgehängt werden. So ist ein einfacher Zugang, für ein allfälliges Wechseln der Fassadenverglasungen (eingesetzt im Pfosten-Riegel) und somit der Zugang zu den Deckleisten gegeben. Auch der Ersatz der Gläser (981 m 2 ) ist dank der Konstruktion ohne grossen Aufwand möglich. «Zwei eigens entwickelte und optimierte Silikonprofile dichten die Gebäudehülle und alle weiteren Fugen zwischen den Glasfaser-Beton-Elementen ab», erklärt Speiser. Der Vorteil des Gummiprofils gegenüber einer herkömmlichen Silikonfuge sei, dass der Fugenunterhalt so massiv reduziert wird und Verfärbungen des Betons durch Silikonöl ausgeschlossen sind.  

 

«Die 4,5 m hohen und bis zu 2,5 m breiten Fassadenelemente können einzeln ausgehängt werden.»  
Silikon-Dichtprofile anstelle der üblichen Silikonfugen dichten die Fassadenelemente ab. Vorteil: Wartungsarm und bilden keine Verfärbungen durch Silikonöl.
Silikon-Dichtprofile anstelle der üblichen Silikonfugen dichten die Fassadenelemente ab. Vorteil: Wartungsarm und bilden keine Verfärbungen durch Silikonöl.

Wohin mit der Betonfeuchte?

Konzipiert ist die Station als Beton-Skelettbau, der mit Zugankern in gewachsenem Fels verankert ist. «Nach dem Bau gibt Beton etwa zwei Jahre lang Feuchtigkeit ab», lässt Speiser wissen und fügt an: «Ein Kubikmeter Beton besteht neben Kies und Zement aus 150 Liter Wasser. Chemisch gebunden sind lediglich 60 Liter, 30 Liter sind in Poren und Kapillaren gebunden. Die restlichen 60 Liter werden ausgeschieden. Dieses Wasser muss abgeführt werden, sonst entstehen Schäden am Bauwerk.»
Die Fassadenhaut der vorgehängten Fassade der Station ist jedoch komplett abgedichtet. Flugschnee darf nicht durch die offenen Fugen in den Luftraum der Fassade eindringen. Das Eis würde Schäden im Zwischenraum der Fassadenhaut und den Dämmungen verursachen. Der Luftraum ist nicht hinterlüftet, sondern druckausgeglichen und entspannt. «Der Nachteil ist, dass das Wasser aus dem Beton nicht nach aussen abgeführt werden kann», sagt Speiser. Die Betonfeuchte muss daher in das Gebäude gelangen können und abgelüftet werden. Auf der gesamten Betonkonstruktion ist deshalb eine Dampfsperre mit einem Sd-Wert von 250 m dicht aufgezogen und verklebt. Hinweis: Der Sd-Wert ist eine Kennzahl für den Widerstand, den Feststoffe dem Durchgang von Wasserdampf entgegensetzen.
  

Die Betonfeuchte musste in das Gebäude abgelüftet werden. Die ganzen Betonflächen sind mit einer Dampfsperrfolie (Sd-Wert von 250 m) abgedichtet. Die Bilder zeigen die Akteure bei der Kontrolle der Dichtfolien.
Die Betonfeuchte musste in das Gebäude abgelüftet werden. Die ganzen Betonflächen sind mit einer Dampfsperrfolie (Sd-Wert von 250 m) abgedichtet. Die Bilder zeigen die Akteure bei der Kontrolle der Dichtfolien.
 
 

Faserbeton auf 2300 Meter über Meer

Tests mit Blechfassaden für die fast 400 Fassadenelemente verliefen wenig erfreulich. Der Grund: In den extremen klimatischen Bedingungen können im Fussbereich der Fassaden über längere Zeit Verformungen auftreten. Schliesslich fiel die Wahl auf Glasfaserbeton. Er lieferte in umfangreichen Materialtests – neben der Frostwechselbeständigkeit wurde auch die «Skischuhtauglichkeit» geprüft – die besten Ergebnisse. Eine Erkenntnis war, dass im unteren Bereich der Fassade die Dicke der Glasfaser-Beton-Elementen von 20 mm auf 30 mm erhöht werden musste, damit sie die Belastung durch Hunderttausende Skifahrerinnen und Skifahrer langfristig aushalten.
Insgesamt wurden 372 Glasfaser-Beton-Formteile und Fassadenplatten vom Typ Ecomur flex mit Abmessungen von 1000 x 4500 mm beziehungsweise 2500 x 4500 mm vorproduziert und verbaut. «Das murale Erscheinungsbild des Materials fügt sich optimal in die Berglandschaft ein», so Speiser.

Ausschreibungsplan Stützenverkleidung: Horizontalschnitt durch eine Betonstützenverkleidung.
Ausschreibungsplan Stützenverkleidung: Horizontalschnitt durch eine Betonstützenverkleidung.

 

 

Ausschreibungsplan: Horizontalschnitt durch ein Fensterelement. Aussen die einfach zu demontierenden Glasfaser-Beton-Formteile, innen die Pfosten-Riegel-Konstruktion.
Ausschreibungsplan: Horizontalschnitt durch ein Fensterelement. Aussen die einfach zu demontierenden Glasfaser-Beton-Formteile, innen die Pfosten-Riegel-Konstruktion.

 

 

Vertikalschnitt Dachrand: Unübliches Kontergefälle bei Notüberläufen. Um Eiszapfen zu verhindern, wurde die Neigung der Ausläufe mit Kontergefälle zur Dachseite hin erstellt.
Vertikalschnitt Dachrand: Unübliches Kontergefälle bei Notüberläufen. Um Eiszapfen zu verhindern, wurde die Neigung der Ausläufe mit Kontergefälle zur Dachseite hin erstellt.

Redundante Torantriebe für die Gondelbahn

Nicht nur die Fassade, sondern auch die Konstruktion der riesigen 4,5 m x 4,0 m grossen Tore bei der Einfahrt der Zahnradbahn in der Bergstation waren Teil des Auftrags. Die Tore werden hydraulisch betrieben und sind für die Wind- und Schneelasten sowie den harten täglichen Einsatz im Hochgebirge ausgelegt. Ausserdem können sie im Notfall von Hand geöffnet und geschlossen werden. Das sichert ein redundantes Hydrauliksystem.
Die Hub- und Sektoranlagen der neuen 3S-Bahn Eiger Express werden über Ketten und Kettenräder mit Gegengewichten mechanisch angetrieben. Die unteren, grösseren Tore weisen eine Abmessung von 5,5 m x 7,9 m auf.
Ein ausführlicher Bericht über diese Tore erscheint in der nächsten Ausgabe.

Flügeltor mit redundanten Torantrieben: Ein ausführlicher Bericht über die diversen Tore erscheint in der nächsten Ausgabe der «metall».
Flügeltor mit redundanten Torantrieben: Ein ausführlicher Bericht über die diversen Tore erscheint in der nächsten Ausgabe der «metall».

Planung in 3D

«Die gesamte Planung der Bergstation und des Bahnhofs Eigergletscher wurde von uns in 3D erstellt», sagt Speiser, «von den Architekten- bis zu den Ausführungsplänen arbeiteten alle Beteiligten mit den 3D-Plänen.» Zur Qualitäts-Sicherung wurde der Rohbau mit einer Totalstation gescannt und die Abweichungen wieder in die 3D-Ausführungsplanung der Fassade übernommen.

Das Team der Speiser Metallbauplanung GmbH anlässlich einer Baustellenbegehung. Von rechts: Kurt Speiser, Stephan Speiser und Pascal Bögli.
Das Team der Speiser Metallbauplanung GmbH anlässlich einer Baustellenbegehung. Von rechts: Kurt Speiser, Stephan Speiser und Pascal Bögli.

Die neue V-Bahn der Jungfraubahnen

Die V-Bahn der Jungfraubahnen besteht aus zwei Gondelbahnen. Ausgangspunkt ist der Terminal in Grindelwald Grund mit der Männlichenbahn und der neuen 3S-Bahn Eiger Express hinauf zur Station Eigergletscher. Die Kabinen mit je 26 Plätzen erreichen die Bergstation auf 2320 m ü. M. in nur 15 Minuten. Nach einer Planungsphase von 6 Jahren startete die Umsetzung mit dem Spatenstich am 3. Juli 2018. Nach 908 Tagen war das Projekt mit einem Bauvolumen von rund einer halben Milliarde Franken vollendet. Speiser Metallbauplanung GmbH war als Teil des Generalplanerteams für die Planung sämtlicher Fassaden, Glasgeländer, Tore und Türanlagen sowie Liftschächte und Gebäudehüllen des Terminals in Grindelwald Grund – mit einem neuen Parkhaus für über 1000 Fahrzeuge und der öV-Haltestelle der Berner Oberland-Bahn, der Mittelstation Holenstein sowie der Bergstationen Männlichen und Eigergletscher verantwortlich.  ■

 

Bautafel 

Bauherr:

Jungfraubahnen, Interlaken und Männlichenbahn, Grindelwald

Architekten:

Generalplaner: von Allmen Architekten AG, Interlaken / BauSpektrum AG, Grindelwald

Fassadenbauer:

Pichler Schweiz AG, Zürich

Fassadenplaner:

Speiser Metallbauplanung GmbH, Thun (Kurt Speiser, Mitglied Technische Kommission AM Suisse)

Glasfaser-Beton-Elemente:

Stahlton AG, Frick

Torbauer:

Creator AG, Uetendorf / Thun

Das Fachregelwerk Metallbauerhandwerk – Konstruktionstechnik enthält Kap. 1.4 wichtige Informationen zum Thema «Statik und Konstruktion» und im Kap. 1.10 wichtige Informationen zum Thema «Konstruktiver Glasbau».