Januar 2025
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Fahrrad- und Fussgängerbrücke Torretta

Stahlbau

In der Lombardei unter der Familie Sforza galt die 1489 in Bellinzona erbaute «Torretta di Bellinzona» über den Fluss Ticino als ein für die damalige Zeit imposantes wasserbautechnisches Bauwerk. Die militärisch bedeutende Konstruktion verlängerte die Verteidigungsmauern von Castelgrande.


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Ein gelungenes Werk. Gut zu erkennen sind die nach oben und unten gewölbten Bögen, die die anfallenden Kräfte unter Druck- und Zugspannungen aufnehmen.
Ein gelungenes Werk. Gut zu erkennen sind die nach oben und unten gewölbten Bögen, die die anfallenden Kräfte unter Druck- und Zugspannungen aufnehmen.

 

Stahlbau

Fahrrad- und Fussgängerbrücke Torretta

In der Lombardei unter der Familie Sforza galt die 1489 in Bellinzona erbaute «Torretta di Bellinzona» über den Fluss Ticino als ein für die damalige Zeit imposantes wasserbautechnisches Bauwerk. Die militärisch bedeutende Konstruktion verlängerte die Verteidigungsmauern von Castelgrande.

Text und Bilder: Walter Polesr, Officine Ghidoni SA, Riazzino

Leider blieb dieses Wunderwerk nur kurz erhalten, da die Anlage 1515 durch eine desaströse Überschwemmung (wegen Schlechtwetters in Biasca) zerstört wurde und lange eine Ruine blieb. 1815 erfolgte der Wiederaufbau, und fortan spielte das Bauwerk im kantonalen Strassennetz eine wichtige Rolle. 1970 wurde die Strassenbrücke bei der Trassierung der Autobahn A2 durch das Gebiet von Bellinzona endgültig abgerissen und durch die weiter südlich gelegene Verbindung Monte Carasso–Bellinzona ersetzt. Ironischerweise musste bei der Realisierung des neuen höhenfreien Verkehrsknotenpunkts im Zentrum von Bellinzona, an genau jener Stelle, erneut eine Überquerung über die Autobahn A2 geschaffen werden.
Warum also nicht – liegt doch die für den Langsamverkehr gedachte Überquerung in einem historischen Gebiet – eine neue «Passerella della Torretta» bauen?

Die 1489 in Bellinzona erbaute «Torretta di Bellinzona» galt zu jener Zeit als imposantes Bauwerk. Bei der Planung der neuen Erschliessungsbrücke orientierten sich die Initianten an ihrem Erscheinungsbild.
Die 1489 in Bellinzona erbaute «Torretta di Bellinzona» galt zu jener Zeit als imposantes Bauwerk. Bei der Planung der neuen Erschliessungsbrücke orientierten sich die Initianten an ihrem Erscheinungsbild.

 


Hierfür schrieb das Departement für Bau 2016 einen Projektwettbewerb aus, an dem sich mehrere qualifizierte Wettbewerber beteiligten. Als Gewinner ging das heute bereits realisierte Projekt hervor, das von einer Gruppe Bauingenieure von AR&PA Engineering (Pregassona) und von Pianifica, Ingenieurwesen und Beratung (Locarno) sowie dem Londoner Architekturbüro AZPML eingereicht worden war. Dieses Bauwerk ist Teil des interessanten Strassenbauplans von Bellinzona, dessen Ziel die Verbesserung der allgemeinen Stadtmobilität und die Förderung von schadstoffarmem Langsamverkehr ist. Dieser Übergang soll auch der Aufwertung der Flussaue des Ticino in diesem Gebiet dienen. Das Projekt knüpft in einer modernen Variante an die charakteristischen Bögen der früheren Bauwerke an und ist dadurch als attraktive Alternative zu den anderen Übergängen dieses Flussabschnitts zu sehen, deren Entwürfen unzweifelhaft ebenfalls architektonische und ingenieurtechnische Recherchen vorangegangen waren. Tatsächlich können die Übergänge in der Region Bellinzona auf keinen Fall als trivial oder charakterlos herabgewürdigt werden!

Projektierung

Anhand des Gewinnerentwurfs des erwähnten Wettbewerbs erfolgte die Ausarbeitung der Ausführungs- und Detailpläne, die angesichts des Längsverlaufs des Übergangs keineswegs banal waren. Aufgrund der langen Erfahrung, die das Unternehmen Officine Ghidoni SA auch als Konsortialunternehmen mit solchen Bauwerken ausweisen kann, liess sich dieses Projekt mit einer gewissen Abgeklärtheit ausführen – auch wenn bei Übergängen bzw. Brücken Überraschungen und Besonderheiten immer einkalkuliert werden müssen. Bei dieser Baumassnahme war insbesondere die Optimierung der Elementabmessungen unter Einbeziehung der Transportkapazitäten wichtig; Ziel war die Minimierung der auf der Baustelle auszuführenden Verbindungen des Bauwerks, das eine spezifische Statik aufweist. Das sehr schlanke, sinusförmige Bauwerk erforderte grosse Sorgfalt bei Planung und Studium der Details.
Die Projektierung der Metallbauarbeiten erfolgt seit Jahren mit speziellen 3D-CAD-Systemen. Selbst bei geschwungenen Elementen ermöglichen diese eine äusserst genaue Modellierung sowie eine virtuelle Darstellung der unterschiedlichen Elemente, sodass deren Funktionstüchtigkeit überprüft und eventuell vorhandene Konflikte erkannt werden. Das anfängliche Projekt legt die Hauptmerkmale des Bauwerks fest, doch erst die Detailplanung berücksichtigt und entwickelt die tatsächlichen Konstruktionsmöglichkeiten – und gerade hierbei sind die Fähigkeiten und Erfahrungen des Projektplaners entscheidend, denn der menschliche Beitrag in dieser ersten, delikaten Phase ist ausschlaggebend. Die Konstruktion besteht aus einem Geh- und Radweg aus Blechplatten und zwei auf beiden Seiten der Fahrbahn wellenförmig verlaufenden Bögen, deren Zustand abwechselnd gespannt und gestaucht ist. Die gesamte Konstruktion ist aus Cortenstahl realisiert, der selbstständig eine Patina bildet.

Herstellung der einzelnen kastenförmigen Bogenelemente.
Herstellung der einzelnen kastenförmigen Bogenelemente.

 

Die Tragwerkselemente sind als geschweisste Kastenelemente unterschiedlicher Abmessungen ausgeführt. Die seitlichen Bögen bilden Vierendeel-Träger; diese bestehen aus einem das Brückendeck stützenden Gurt, einem Bogen und vertikalen Stehern / Hängern; Letztere verbinden den Bogen mit dem in das Brückendeck integrierten Gurt. Die Verbindungen zwischen den oberen und unteren Bögen und der Lauffläche müssen entsprechend der Beanspruchung einen optimalen Übergang gewährleisten; das Erfüllen dieser Anforderung erwies sich als besonders arbeitsintensiv. Die strukturellen Konzepte bleiben über die Gesamtentwicklung des Übergangs recht konstant, während sich die geometrische Form änderte.
Die beidseitig durchlaufenden Geländerelemente bestehen aus Handlauf, Untergurt und dazwischengeschweissten Staketen aus Flachprofilen, ebenfalls in der Qualität Cortenstahl. Auf der Gehwegseite sind LED-Leuchtketten im Handlauf integriert. Da die Elemente Verformungen und Längsausdehnungen aufnehmen müssen, sind im Abstand von jeweils 3,2 m dilatierende Fugen angeordnet. Die gleiche Geländerart vervollständigt die Wendeltreppe, allerdings gestaltete sich deren Projektierung aufgrund des Gefälles und der Krümmung der Elemente schwieriger.
Den Zugang zur Flussaue, Seite Carasso, bildet die erwähnte Wendeltreppe, die aus gebogenen, kastenförmigen Stahlwangen und -stufen besteht; diese formen nach der Montage den tragenden Teil der in jeder Hinsicht monolithischen Treppe.
Die Lauffläche erhielt eine harzbeschichtete, rutschhemmende Oberflächenbehandlung.

Ausschnitt aus dem 3D-Plan: Gut zu sehen sind die einzelnen Teilelemente.
Ausschnitt aus dem 3D-Plan: Gut zu sehen sind die einzelnen Teilelemente.

 

Herstellung

Tatsächlich wirkten sich architektonische und technische Überlegungen zum Bauwerk auch auf die einzelnen Herstellungsverfahren aus; sie wurden bei dieser Konstruktion auch durch die Entscheidung beeinflusst, Cortenstahl zu benutzen. Infolge dieser Materialwahl benötigt die Konstruktion künftig wenig Wartung. Jedoch ist Cortenstahl gegenwärtig fast nur in Form von Flachblechen verfügbar, weshalb alle Konstruktionselemente der unterschiedlichen Abschnitte eigens angefertigt werden mussten, was den Herstellungsprozess teurer und aufwändiger machte.
Das Besondere am Design dieses Übergangs sind sein Sturzelement und die gegenüberliegenden Bögen. Dafür mussten mehrere Kastenelemente aus unterschiedlich dicken Flachblechen zu verschiedenen Komponenten zusammengebaut werden, welche die eigentliche Bauwerksstruktur bilden.
Die Gehfläche besteht im Wesentlichen aus einer 10 mm dicken Blechtafel, die auf der horizontalen Verstrebung aufliegt. Seitlich ruht die Blechtafel auf zwei Kastenelementen, die an den Seiten und entlang der gesamten Übergangslänge verlaufen. Eine strukturell problematische Stelle befindet sich an den drei Pfeilern, an denen die Bögen ihre Tragrichtung ändern und daher die Längsträger kreuzen. An dieser Stelle wurde zum Erhalt eines reibungslosen Kräfteverlaufs ein sehr aufwändiges Innenkonstrukt eingebaut. Zu dessen Herstellung wurden verschiedene Blechrippen unterschiedlicher Stärken zusammengefügt. An diesen komplexen Stellen war eine sorgfältige Handhabung der Montagereihenfolge und der Schweissarbeiten besonders wichtig, da das Verfahren eine wirksame und geeignete Verbindung der Elemente gewährleisten musste. Die geometrischen Formen der im Werk vormontierten Elemente wurden unter Berücksichtigung ihrer Abmessungen und Gewichte sowie im Hinblick auf die Minimierung der auf der Baustelle auszuführenden Schweissarbeiten bestimmt. Allerdings war die im Werk auszuführende Handhabung der sperrigen mit den Bogenelementen versehenen Teilstücke nicht einfach. Auf der Baustelle mussten das Sturzelement und die Bögen miteinander verbunden werden.
Die Herstellung der Brüstungselemente aus Cortenstahl erfolgte problemlos. Das galt jedoch nicht für die Treppenelemente, deren Anpassung und Regulierung sich aufgrund ihrer gewendelten Form sehr aufwändig gestaltete. Die breite Zugangstreppe zur Flussaue ist wendelförmig und selbsttragend. Sie ist also oben an den Übergang und unten an den Fundamentsockel angeschlossen, besitzt jedoch keine zusätzlichen Pfeiler. Die beiden grossen, spiralförmigen Wangenelemente der Wendeltreppe bilden das Tragwerk. Die seitlich an die beiden Spiralelemente angeschweissten Stufen haben ebenso wie die Spiralelemente selbst rechteckige Querschnitte. Durch die komplexe gekrümmte geometrische Form und die beträchtlichen Stärken der verwendeten Blechtafeln mussten Planung und Bauausführung äusserst sorgfältig erfolgen; dies galt auch bei der Vorbereitung der Bauteile, um eine Beeinträchtigung des Endergebnisses zu vermeiden.  

Ein Teilelement ist bereit für den Transport.
Ein Teilelement ist bereit für den Transport.

 

Transport, Logistik und Montage

Einige vom Werk zur Baustelle ausgeführte Transporte erfolgten angesichts der grossen Gewichte und Abmessungen der Elemente mithilfe spezieller Lastwagen. Das Besondere dieser Baustelle war, dass das Zusammensetzen der beiden wesentlichen Tragwerkselemente an einem einzigen Montageort stattfand. Das Lager konnte nach einer provisorischen Veränderung der Flussaue und des linken Flussufers in durchaus zentraler Position zum Übergang eingerichtet werden.
Für die Positionierung der beiden durch das Zusammenbauen der Teilstücke entstandenen Gitterträger wurde im erwähnten Bereich ein imposanter Raupenkran (9,80 tm) aufgestellt. Die Montage dieses mächtigen Gittermastkrans erfolgte vor Ort. Durch ihr Baukastenprinzip lassen sie sich an verschiedene Situationen anpassen und agieren auch beim Bewegen hängender Elemente flexibel. In diesem Fall wurde der erste, ca. 120 t schwere Gitterträger in einem Abstand von ca. 80 m von der Drehkranzmitte des Krans positioniert. Die von diesen Vorrichtungen zum Anheben und Versetzen von Lasten erreichte Positionierungsgenauigkeit war trotz der enormen Abmessungen und des hohen Gewichts der Lasten äusserst präzise. Für diese Tätigkeiten bildeten eine äusserst detaillierte Planung sowie günstige Wetterbedingungen eine wesentliche Voraussetzung.
Einerseits sind die Kosten für eine solche Kranmontage enorm hoch – insbesondere hinsichtlich des Transports der einzelnen Krankomponenten und deren Montage und Demontage –, andererseits sind die beträchtlichen Potentiale eine solche Investition wert. Diese spezielle Konstruktion setzt sich aus sehr langen und schlanken Elementen zusammen. Während der Montage des Übergangs waren deshalb zur Aufrechterhaltung ihrer Unversehrtheit zusätzliche Stabilisierungen erforderlich, da sich die in dieser Bauphase herrschenden Belastungen stark von denen unterschieden, die auf den fertigen Übergang einwirken.   

Zwei seitlich der Fahrbahn angeordnete, wellenförmig verlaufende Cortenstahlbögen bilden die primäre Tragstruktur.
Zwei seitlich der Fahrbahn angeordnete, wellenförmig verlaufende Cortenstahlbögen bilden die primäre Tragstruktur.

 

Durch diese Wahl der Montageart liess sich die Infrastruktur für die Zufahrt zur Baustelle erheblich reduzieren; so führt nur eine einzige Strecke von der Raststätte Bellinzona Süd der Autobahn A2 über die Schotterstrasse an der Flussaue zum Montageplatz. Zusätzlich wurde zur Vermeidung unerwünschter Verformungen die Anzahl der das Bauwerk während der einzelnen Montage- und Schweissphasen abstützenden Elemente weitmöglichst reduziert. Tatsächlich eignet sich dieser Krantyp äusserst gut, um die Konstruktion temporär abzustützen und so ideale Voraussetzungen für die Verbindungsarbeiten zu schaffen. Die beiden Halbelemente wurden im Montagebereich zusammengebaut und verschweisst, dann auf spezielle Synchronhubsysteme positioniert und in zwei getrennten Arbeitsgängen im Abstand von zehn Tagen angehoben. Diese Elemente formen praktisch den Übergang. Nach dem Verschweissen der Verbindungen erfolgten das Verlegen der Brüstungselemente, die Behandlung der Lauffläche und die Positionierung der Zugangstreppe zur Flussaue.

Der erste, rund 120 t schwere Gitterträger wird in einem Abstand von ca. 80 m von der Drehkranzmitte des Raupenkrans positioniert.
Der erste, rund 120 t schwere Gitterträger wird in einem Abstand von ca. 80 m von der Drehkranzmitte des Raupenkrans positioniert.

 

Schlussfolgerung

Der Übergang fügt sich gut in den Kontext ein und scheut nicht den historischen Vergleich mit den früheren Brücken gleichen Namens. Er unterstützt den Langsamverkehr massiv und wertet den Fluss Ticino auf natürliche Weise auf, dessen Flussbett jahrelang schwer zugänglich war und wenig Wertschätzung erfahren hat. Die Flussaue sowie der Fluss selbst, der das Siedlungsgebiet in der Gegend von Bellinzona durchfliesst, sind unbestritten eine Ressource für die Erholung und die Entfaltung der Natur in Symbiose mit dem menschlichen Alltag.  ■

Die wuchtige Wendeltreppe, getragen von kastenförmigen Wangen, stellte bei der Fabrikation und auch bei der Montage hohe Ansprüche.
Die wuchtige Wendeltreppe, getragen von kastenförmigen Wangen, stellte bei der Fabrikation und auch bei der Montage hohe Ansprüche.

 

 

Bautafel 

Bauherrschaft:

Departement für Bau, Umwelt und Verkehr,  Abteilung Bau | Bellinzona

Projektplaner:

AR&PA Engineering Sagl | Pregassona-Lugano

Stahlbau:

Consorzio Officine Ghidoni SA, Ferriere Cattaneo SA | Riazzino

 

Das Fachregelwerk Metallbauerhandwerk – Konstruktionstechnik enthält im Kap. 1.4.5 wichtige Informationen zum Thema «Ausführung von Stahlbauten».