Eine Brandkatastrophe mit Vorankündigung
Brandschutz / Grenfell Tower
Am 14. Juni jährte sich zum fünften Mal die Brandkatastrophe beim Grenfell Tower in London. Innerhalb einer halben Stunde kletterte das Feuer vom vierten ins oberste Stockwerk des 24-geschossigen Wohnhauses. 72 Menschen kamen dabei ums Leben.
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Brandschutz / Grenfell Tower
Eine Brandkatastrophe mit Vorankündigung
Am 14. Juni jährte sich zum fünften Mal die Brandkatastrophe beim Grenfell Tower in London. Innerhalb einer halben Stunde kletterte das Feuer vom vierten ins oberste Stockwerk des 24-geschossigen Wohnhauses. 72 Menschen kamen dabei ums Leben.
Hinweis der Redaktion: Dieser Beitrag informiert einerseits über die Hintergründe, die zu diesem tragischen Brandfall geführt haben, orientiert über die diesbezüglichen Themen, die an der Konferenz zur Gebäudehülle der Zukunft (20. und 21. Oktober 22) diskutiert wurden, und weist über entsprechende Links und Merkblätter auf die gültigen Vorschriften in der Schweiz hin.
Erst ein Jahr zuvor war die Fassade komplett saniert worden. Das mit der Sanierung beauftragte Architekturbüro hatte jedoch keine Erfahrung mit dem Bau oder der Sanierung von Hochhäusern. Bei der Dämmung setzten die Architekten nicht auf die weitverbreiteten Wärmedämmverbundsysteme, sondern auf das sogenannte Rainscreen-System, eine vorgehängte hinterlüftete Fassade. Die äusseren Platten aus einem Aluminiumverbund (ACM) schützen die dahinterliegende Isolierschicht vor nasser Witterung. Dabei ist diese Wetterschutzverkleidung durch eine dünne Luftschicht von der Dämmung getrennt. Der dahinter zirkulierende Luftstrom soll Kälte abhalten und das Mauerwerk trocknen. Der Nachteil des Systems: Die Hinterlüftungszone kann bei einem Brand für einen verheerenden Kamineffekt sorgen.
Wetterschutz-Paneele als Brandbeschleuniger
In Deutschland beispielsweise müssen seit 2010 Gebäude mit einer Höhe von über sieben Metern die vorgehängten hinterlüfteten Fassaden mit Brandsperren ausgestattet sein. Im Brandfall behindern die Brandsperren den Kamineffekt im Hinterlüftungsspalt. Der Grenfell Tower hatte keine Brandsperren. Die hohe Geschwindigkeit der Brandausbreitung erklärt sich erstens aus dem Zustrom von Verbrennungsluft über die Hinterlüftung der Fassade. Zweitens bestand die Wetterschutzverkleidung aus Aluminium-Polyethylen-Paneelen. Polyethylen (PE) schmilzt unter Wärmeeinwirkung und tropft wie eine brennbare Flüssigkeit ab. PE nimmt keine Flüssigkeit auf und brennt daher auch unter Wasserkontakt weiter. Somit ist ein Löschen mit Wasser zwecklos. Polyethylen wird auch als Öl in fester Form bezeichnet.
Während bei einem Wärmedämm-Verbundsystem der Dämmstoff direkt auf der Wand angebracht, verputzt und gestrichen wird und damit auch gleichzeitig die Aussenhaut darstellt, hat die hinterlüftete vorgehängte Fassade, die beim Grenfell Tower verwendet wurde, zwischen dem Dämmstoff und der davorliegenden Wetterschutzverkleidung einen Zwischenraum. Bei einem Feuer kommt es im Zwischenraum zu einem Kamineffekt, der das Feuer nach oben saugt. Der Brand kann sich so schnell von unten nach oben ausbreiten. Die Kombination aus brennbarer Wetterschutzverkleidung und dem dahinterliegenden Luftschacht waren tödlich für die Bewohner des Hochhauses.
Verkauf von ACM-Paneelen trotz bekannter Risiken
Im Juli 2001 teste das Building Research Establishment (BRE) verschiedene Fassadenverkleidungen. Von den vierzehn getesteten Systemen versagten zehn; die mit Aluminium kaschierten Polyethylenplatten (ACM) brannten am schnellsten ab, doppelt so schnell wie das zweitschlechteste Produkt, und die Flammen erreichten in nur fünf Minuten eine Höhe von 20 Metern. Aus Sicherheitsgründen musste der Test abgebrochen werden. In seinem Bericht an die Regierung erklärte das BRE, dass die ACM-Paneele zu den Produkten gehörten, die am schlechtesten abschnitten. Jedoch anstatt diese nun für den Einsatz bei Hochhausfassaden zu verbieten, schrieb das BRE lediglich: Das Thema bedarf weiterer Untersuchung.
Dämmstoffhersteller in der Schusslinie
Anders als die ACM-Paneele der Wetterschutzschicht bestanden die dahinterliegenden Dämmstoffplatten nicht aus Polyethylen, sondern aus Polyurethan, oft auch als PUR/PIR-Hartschaum bezeichnet. Obwohl PUR- und PIR-Platten schwer entflammbar sind, in einem Wärmestau eingeschlossen zersetzen sie sich ab einer Temperatur von ca. 300 °C. Bei höheren Temperaturen um 850 °C entsteht hochgiftige und hochentzündliche Blausäure.
Der Untersuchungsausschuss zum Grenfell Tower hat aufgedeckt, dass die Hersteller ihre Dämmstoffe mit falscher Brandklassifizierung für den Einsatz an Hochhäusern verkauften. Bereits im Oktober 2014 zeigte sich eine Brandspezialistin des Ingenieurbüros Arup «zutiefst besorgt über die anhaltend falsche Verwendung von Prüfberichten», so Dr. Barbara Lane in einer Mail an den National House-Building Council. Sie warnte: «Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Verwendung von leicht brennbaren Materialien in Wohngebäuden zu einem Brandvorfall führt (an accident waiting to happen).»
Fassadenskandal
Die Anhörungen zum Grenfell Tower haben gezeigt, dass die Hersteller ihre Produkte als mit den Bauvorschriften konform und für die uneingeschränkte Verwendung in Hochhäusern vermarkteten, obwohl sie die Vorschriften nicht erfüllten. Der Grenfell-Brand führte in Grossbritannien zum «Fassadenskandal».
Die Anhörungen der Grenfell Tower Inquiry sind noch nicht abgeschlossen. Sie sind unter www.grenfelltowerinquiry.org.uk abrufbar; Zusammenfassungen finden sich unter www.insidehousing.co.uk/insight
Brandschutz war Thema der diesjährigen Konferenz zur Gebäudehülle der Zukunft
Am 20. und 21. Oktober präsentierten in Bern über 120 internationale Architekten, Ingenieure, Wissenschaftler und Vertreter der Bauindustrie neue Projekte und Entwicklungen im Design von Gebäudehüllen.
Erstmals auf dem Programm stand das Thema Brandschutz bei Fassaden, eine Session, die vom amerikanischen Ingenieurunternehmen Jensen Hughes organisiert wurde. Welche Auswirkungen der Einsatz falscher Produkte in der Fassade bei Ausbruch eines Feuers haben kann, zeigte die Brandkatastrophe beim Grenfell Tower in London.
Bei der diesjährigen Konferenz wurde die Hälfte der Sessions von Partnern organisiert. «Uns war es gelungen, mehrere renommierte Architektur- und Ingenieurbüros sowie Fassadenunternehmen als Mitveranstalter zu gewinnen. Diese organisierten jeweils eine Session zu einem Bauprojekt oder zu bestimmten Themen wie Brandschutz, architektonische Membranen oder Fassadensanierungen», erklärt Organisator Andreas Karweger von der Advanced Building Skins GmbH in Luzern.
Hintergrund
Mit über 800 Architekten, Ingenieuren, Planern und Vertretern der Bauindustrie ist die Advanced Building Skins Conference & Expo der führende Event zur Gebäudehülle in Europa; sie vereint hochkarätige Präsentationen mit produktivem Networking in der Baubranche. Die Vorträge wurden auch als Webcast live übertragen. Die audiovisuelle Aufzeichnung steht auch nach der Konferenz (in englischer Sprache) zur Verfügung (Thema A4). ■
abs.green/videos-2022
Was gilt für die Schweiz
Vorerst ist es wichtig zu wissen, dass die verschiedenen Hersteller von Verbundplatten heute über Produkte verfügen, die aus mineralischem, anorganischem Füllstoff sind und mit Polymer gebunden werden. Diese gelten als «Nichtbrennbar» (NBB) und sind für Hochhäuser zugelassen.
In der Schweiz sind bei Hochhäusern horizontale Brandriegel einzubauen.
Die kaschierten Aluplatten, welche mit Polyethylen (ACM) erstellt werden, sind nicht für Hochhäuser zugelassen.
Organistaion und Zuständigkeiten im Brandschutz
Der Brandschutz ist in der Schweiz kantonal geregelt. Die Kantone erlassen die massgebenden Gesetze, Vorschriften, Verordnungen, Erlasse, Vollzugsbestimmungen und Richtlinien. 19 Kantone weisen eine Kantonale Gebäudeversicherung auf, in den übrigen 7 Kantonen (Genf, Uri, Schwyz, Tessin, Appenzell Innerrhoden, Wallis, Obwalden) ist die Versicherung Sache der Privatassekuranz.
Die Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen (VKF)
Dachorganisation der 19 Kantonalen Gebäudeversicherungen der Schweiz ist die VKF.
Zugleich ist die VKF:
- die Schweizerische Koordinationsstelle für Brandschutz und Elementarschadenprävention.
- die vom Bund akkreditierte Zertifizierungsstelle für die Ausbildung von Fachpersonen im Bereich Brandschutz.
Die VKF erarbeitet u.a. die Schweizerischen Brandschutzvorschriften. Sie erteilt gesamtschweizerisch anerkannte VKF-Brandschutzanwendungen für Produkte (Baustoffe und Bauteile) und Fachfirmen für Anlagen im technischen Brandschutz.
Die VKF sagt, dass Gebäude in der Schweiz im Wesentlichen in drei Gebäudehöhen eingeteilt sind:
• Geringe Höhe (bis 11 m)
• Mittlere Höhe (bis 30 m)
• Hochhäuser (ab 30 m)
Entsprechend den Gebäudegeometrien unterscheiden sich die Vorschriften.
Merkblatt Gebäudehülle Schweiz: Technische Kommission Fassadenbau
Das Merkblatt «Brandschutz bei vorgehängten, hinterlüfteten Fassaden» behandelt eine Vielzahl brandschutztechnischer Aspekte dieser Fassadenart. In Bezug auf Hochhäuser ist zu lesen:
Aussenwand und Aussenwandbekleidungssysteme von Hochhäusern müssen aus Baustoffen der RF1 bestehen. Ausgenommen sind Kunststoffdübel und punktuelle Rückverankerungen von Wärmedämmungen sowie die definierten flächenmässig nicht relevanten Bauteile. Fensterrahmen und flächenmässig nicht relevante Bauteile (Anschlussfugen, Dichtungen, Isolierstege, usw.), welche konstruktiv zwingend notwendig sind, müssen mindestens aus Baustoffen der RF3 (cr) bestehen.
Brandverhaltensgruppen
Baustoffe werden hinsichtlich ihres Brandverhaltens in die folgenden Brandverhaltensgruppen «RF» (kommt von franz. reaction au feu), eingeteilt:
• RF1 = kein Brandbeitrag;
• RF2 = geringer Brandbeitrag;
• RF3 = zulässiger Brandbeitrag;
• RF4 = unzulässiger Brandbeitrag.
Empfehlung der Redaktion
Beschaffen Sie sich dieses Merkblatt!
Das Merkblatt kann unter folgendem Link kostenlos heruntergeladen werden:
sfhf.ch / siehe Unterlagen / Downloads
Weitere Informationen zu diesen Themen auch unter:
www.metaltecsuisse.ch / unter technik / brandschutz
Suchbegriffe:
VKF-BSR 10-15 Begriffe und Definitionen
VKF-.BSR 13-15 Baustoffe und Bauteile
VKF-BSR 14-15 Verwendung von Baustoffen